Der Urner Michael Zwyssig war der erste Bruder der Missionsgesellschaft Bethlehem. Peter Arnold hat ein Buch über sein Leben und Wirken geschrieben, er porträtiert ihn hier.
Autor: Peter Arnold
In den Annalen der 1921 gegründeten SMB nimmt Michael Zwyssig (1903–2001) eine Sonderstellung ein. Er war der erste Bruder, der ihr 1925 bei- und nicht wieder austrat. Er gehörte zu den zehn Pionieren, die 1939 in das neue Wirkungsfeld Südrhodesien ausreisten. Dort war er während fünf Jahrzehnten als umtriebiger «Baumeister von Gwelo» tätig und errichtete an zahlreichen Orten Schulen, Spitäler und Werkstätten, die für die missionarische Arbeit von zentraler Bedeutung waren – und den Lebensstandard der Bevölkerung verbesserten. Erst mit 90 Jahren zog er sich aufs Altenteil zurück. Seine Mitbrüder hofften, er werde der erste Hundertjährige der Gemeinschaft werden, doch er starb kurz nach seinem 98. Geburtstag. Nicht in Afrika, sondern in Immensee. Allen, die ihn kannten, ist er als faszinierende, eigenwillige und geerdete Persönlichkeit in Erinnerung geblieben.

Br.Michael Zwyssig und Br.Willi Vock anlässlich des SMB-Generalkapitels 1998. Foto: Archiv SMB
Wäre er Missionar geworden, wenn er ein halbes Jahrhundert später auf die Welt gekommen wäre? Das Ethos, von dem er sich leiten liess, wurzelte jedenfalls tief in seiner Herkunft und in den Vorstellungen seiner Zeit. Er wuchs in Seelisberg (Uri) in einer kinderreichen, tief religiösen Bauernfamilie auf. Nach der Primarschule absolviert er im Kloster Engelberg eine Wagnerlehre. Dass er sich bald danach entschloss, Missionar zu werden, war kein Zufall. Seine «Promissio» fiel in eine Zeit, in der sich unter den Katholiken der Schweiz eine einmalige Missionsbegeisterung ausbreitete, die erst in den Sechzigerjahren abflaute. Als überzeugter Christ sah er sich wie viele Männer in seinem Alter dazu berufen, an vorderster Front mitzuhelfen, den allein seligmachenden Glauben unter die «Heidenvölker» zu tragen und sie so vor der «Verdammnis» zu retten.

Die vier ersten Brüdermissionare, 1939 nach Südrhodesien ausgesandt (von links,
vorne): Johann Wettach, Viktor Gattlen, Benedikt Erni, Michael Zwyssig. Foto: Archiv SMB
Diesen Entscheid hat er nie bereut. In seinem Testament dankte er dem Herrgott dafür, dass er ihn als Missionsbruder hatte arbeiten lassen. Seine unverfälschte Religiosität äusserte sich darin, dass er mit Inbrunst die Praktiken des Volksglaubens seines Elternhauses weiterpflegte. Er betete jeden Abend den Rosenkranz, besuchte täglich die Messe und liebte das stille Gebet in einem sakralen Raum. Für Neuerungen war er offen, doch manche Reform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ging ihm zu weit. So empfahl er seinen Mitbrüdern einmal, sich wieder vermehrt der Marienverehrung und dem Herz Jesu zuzuwenden, denn das bringe mehr geistliche Berufe hervor als die modernen Theologen, «die heute wehen und morgen vergehen».

Baumeister Michael Zwyssig mit Theodolit. Foto: Archiv SMB
Auch in gesellschaftlichen Fragen vertrat er bisweilen konservative Standpunkte. Beispielsweise lehnte er das Frauenstimmrecht ab. Andererseits wehrte er sich offen gegen die in der SMB lange herrschende klerikalistische Mentalität. Diese sah in den Brüdern einen dienenden, von der Priesterkaste getrennten und ihr untergeordneten Stand. Gleichzeitig lehnte er das Tragen der Soutane ab, die eine Zeit lang auch für sie im sonntäglichen Gottesdienst vorgeschrieben war. Er wollte sich nicht durch äussere Merkmale zum halben Kleriker hochstilisieren lassen. Viel lieber war er ein vollwertiger, den Priestern ebenbürtiger Laienbruder, der sich durch tätige Nächstenliebe und ein vorbildliches christliches Leben verwirklichte.
Trotzdem wurde er von seinen Mitbrüdern nicht als Aussenseiter angesehen. Sein schalkhaftes, charmantes Auftreten, unterstrichen durch ein schelmisches Ho-Chi-Minh-Bocksbärtchen, half dabei, denn er wirkte nie verletzend. Vor allem schätzten alle an ihm den tüchtigen, mit einem altertümlichen Theodolit bewaffneten Baumeister. Entsprechend seinem Grundsatz versuchte er immer, sparsam und dennoch gut und fachlich solide zu bauen. Dabei war er eigentlich ein halber Autodidakt, hatte er doch nur ein Jahr lang vor seiner Ausreise die Baufachschule in Aarau besucht. Vor allem Bischof Häne, sein oberster Vorgesetzter, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, hielt grosse Stücke auf ihn.
Auch bei seinen Arbeitern war er beliebt. Er teilte nie das kolonialistische Vorurteil vom «faulen Neger». Zwar achtete er sehr auf Pünktlichkeit und duldete keinen Larifari-Betrieb. Doch er behandelte seine Arbeiter stets mit Respekt und sah sich in der Rolle des strengen, aber verständnisvollen Lehrmeisters, der sie beruflich weiterbringen wollte. Was ihm offenbar gelang, denn viele blieben ihm jahrelang treu. Einige seiner Vorarbeiter führte er so gut in das Metier ein, dass die Arbeit auf den Bauplätzen auch dann weiterging, wenn er wegen Krankheit oder Urlaub fehlte. Und das, obwohl er trotz 60 Jahren in Afrika nie Shona lernte und auch Englisch mehr schlecht als recht beherrschte.
Buch über Michael Zwyssig
Eine ausführliche Lebensbeschreibung finden Interessierte im Buch von Peter Arnold: «Mit Theodolit und Rosenkranz. Br. Michael Zwyssig SMB (1903 2001), Missionar und Baumeister in Afrika: Ein Leben», das bei Literareon im utzverlag, München, erscheint.
Der Autor träumte auch einmal davon, Missionar zu werden. Doch statt Priester wurde er Soziologe und Entwicklungshelfer. Nach der Pensionierung entdeckte er die Lust am Schreiben von Lebenserzählungen.
