Markus Isenegger war als Missionar in Simbabwe und als Priester und Theologe in der Schweiz sowie als Gestalttherapeut und Gewaltberater im «Mannebüro» in Luzern tätig. Im September 2025 wird er 85 Jahre alt. Gleichzeitig erscheint sein viertes Buch mit dem Titel «Venez avec moi» – eine Sammlung von Texten, die in den letzten sechs bis zehn Jahren entstanden sind. Im Interview verrät der Autor, wie er zum Schreiben kam, und gibt Einblicke in seine Identität.
Raquel Forster: Markus, im September 2025 feierst du deinen 85. Geburtstag und dein viertes Buch erscheint. Wie kam es dazu?
Markus Isenegger: Die pragmatische Antwort ist: Ich möchte vorwärts machen, bevor es zu spät ist. Denn ich mache mir Sorgen, dass mir bald der Elan, der Mut und die Vitalität fehlen werden, um ein solches Projekt durchzuführen. Jetzt habe ich noch «Pfuus». In diesem Alter weiss man gesundheitlich leider nie, was kommt. Ich merke bereits, dass ich vergesslicher werde. Daher dachte ich: Wenn schon, dann lieber jetzt.
Du bist ursprünglich Lehrer gewesen, wurdest dann Priester und SMB-Missionar und hast später auch im «Mannebüro» in Luzern als Berater gearbeitet. Wann wurdest du zum Schreiber?
Ich habe 30 Jahre lang im «Mannebüro» in Luzern gearbeitet. Dort hatte ich einen Kollegen, der Werbetexter war. Ich habe ihm einige meiner Texte zum Lesen gegeben, die er mir praktisch ausgerissen hat. Er wollte damit ein Buch veröffentlichen. Ich bin das Wagnis eingegangen und so ist mein erstes Buch entstanden. Das war im Jahr 2006.
Hast du da deine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckt?
Nein. Ich habe schon immer gerne Aufsätze geschrieben. Als Professor Josef Amstutz von 1964 bis 1967 Systematische Theologie dozierte, sagte er, die jungen Theologen würden schlecht formulieren. Bis zur Matura hätten sie zwar Aufsätze geschrieben, doch danach hätten sie diese Fertigkeit nicht mehr weiterentwickelt. Mich hat das beeindruckt.

Markus Isenegger 1972 in Driefontein in Simbabwe zusammen mit den afrikanischen Schwestern.
Seit 15 Jahren bist du Mitglied einer Schreibgruppe. Wie kam es dazu?
Meine Schwester hatte sich für die Schreibgruppe «Schreiben für Senioren» im RomeroHaus in Luzern angemeldet, konnte aber kurzfristig nicht teilnehmen. Also ging ich an ihrer Stelle hin. Die Kursleiterin, eine Journalistin aus Zürich, die man aus dem Fernsehen kennt, konnte ihr Wissen über das Schreiben auf pädagogisch geschickte und spannende Weise vermitteln. Das hat mich vom ersten Abend an gepackt. Josef Elsener SMB war ebenfalls Mitglied der Gruppe und hatte immer spannende Geschichten über Afrika zu erzählen. Wir starteten mit sechzehn Teilnehmer:innen, heute sind wir noch acht. Die Schreibgruppe wurde vor sechs Jahren offiziell beendet. Aus diesem Grund organisierten wir sogar einen öffentlichen Vorlese-Anlass. Dennoch treffen wir uns seither immer noch einmal im Monat und arbeiten freiwillig an unseren Schreibkünsten weiter.
Das neue Buch trägt den Titel «Venez avec moi» (Komm mit mir). Wie bist du auf diesen Titel gestossen?
Der Titel ist mir auf einer Reise in Frankreich spontan eingefallen. Ich hatte kein Zugticket und es gab auch keinen Kontrolleur. Aus diesem Grund musste ich mit dem Lokführer verhandeln. Dieser sagte daraufhin: «Komm mit mir.» Als ich der Schreibgruppe davon erzählte, meinte eine Kollegin, dieser Satz sei ein passender Titel für ein Buch sei, weil er aus dem Leben gegriffen und einladend sei. Aus diesem Grund habe ich auch ein Zugbild als Titelmotiv gewählt.

Markus Isenegger feierte seinen 85. Geburtstag mit einer Textlesung.
Alle deine Bücher sind Sammlungen verschiedener Texte, beispielsweise aus der Welt der Männerarbeit und von Fernwanderungen. Warum hast du nie einen Roman geschrieben?
Ich kann und möchte es nicht. Meine Handschrift bzw. mein Markenzeichen sind Sammlungen kleiner Eindrücke in kurzen Beiträgen von ein bis drei Seiten, in denen ich meine Wahrnehmungen festhalte und Erlebnisse dokumentiere. Eine fiktive, längere Geschichte zu erzählen oder eine lineare Autobiografie zu schreiben, wollte ich nie.
Gehört die Gliederung in fünf Blöcke ebenfalls zu deiner gestalterischen Handschrift?
Im ersten Kapitel geht es um «Anwärmen–Erwachen», im zweiten um «Unterliegen–Meistern», im dritten um «Entsinnen–Erinnern», im vierten um «Erkunden–Erfahren» und im fünften um «Schmunzeln–Lassen». Es mag sein, dass die Zuordnung der verschiedenen Texte zu den entsprechenden Kategorien nicht immer eindeutig gelingt, da einige Texte sowohl in die eine als auch in die andere Kategorie passen könnten. Vielleicht trägt aber gerade diese Ambivalenz zur Lebendigkeit der Textsammlung bei.

Der Schauspieler, Hörspielsprecher und Regisseur Sigi Arnold (links) las Texte aus dem neuen Buch von Markus Isenegger SMB (rechts) vor.
Was hat dich dazu veranlasst, deine Gedanken und Erlebnisse niederzuschreiben? Du könntest sie schliesslich auch mündlich erzählen.
Ich habe kürzlich ein Buch über Künstliche Intelligenz (KI) mit dem Titel «Wie KI dein Leben besser macht» von Himpsl und Gehlen gelesen. Besonders beeindruckt hat mich, dass die Autoren zwar schon für die maschinelle Intelligenz werben, aber dennoch mehrfach betonen, wie wichtig das eigene Schreiben für die Gesundheit von Körper und Seele ist. Sie sagen, man solle das Schreiben auf keinen Fall gänzlich der Maschine überlassen. Denn beim persönlichen Schreiben kann man seine eigenen Emotionen und Gedanken reflektieren. Im Gegensatz zum mündlichen Erzählen ist das Schreiben ein langsamer Prozess und hat in diesem Sinne eine Nähe zur Kontemplation. Man kann bei der Erzählung verweilen und etwas in sich entstehen lassen. Die schriftliche Form hat zudem den Vorteil, dass die Inhalte nicht verlorengehen. Das technische Buch über KI empfiehlt sogar, ein Tagebuch zu führen, in dem wir unsere Gefühle und Beobachtungen aufschreiben, um unsere geistige Gesundheit fördern. Schreiben, weil man Freude daran hat.
In all den Jahren hast du unzählige Texte verfasst. Haben deine Texte im Laufe der Zeit einen Reifeprozess durchlaufen?
Freunde geben mir hin und wieder die Rückmeldung, dass ein Fortschritt erkennbar sei. Meine Texte sind ein Gemisch aus Spekulationen, Tatsachenberichten und zum Teil erfundenen Geschichten. Ich finde, dass ich heute freier schreibe, mehr wage und eigenwilliger bin. Den Mut dazu gab mir die Schweizer Schriftstellerin Gisela Widmer, die von der Fachzeitschrift «Schweizer Journalist» mehrere Male als «Die beste Kolumnistin des Landes» geehrt wurde (Anm. d. Red.). Widmer betont stets, dass man alles schreiben solle, egal, ob wahr oder falsch. Im Gegensatz zu Reporter:innen, die sich immer an Fakten halten müssen, darf ich fantasieren und fabulieren. Das klingt in einem Text sehr gut. Jetzt, im Pensionsalter, spüre ich ausserdem, dass ich in meinen Texten mehr reflektierend zurückschaue. Früher habe ich mehr vorausgeschaut, jetzt schaue ich mit Dankbarkeit zurück. Ich schreibe auch schneller und flüssiger als früher, und die Texte fallen mir leichter.
Du zeigst dich als Katholik, Priester und Immenseer. Wie fühlst du dich dabei?
In der heutigen Zeit ist es nicht sehr werbeträchtig, katholisch zu sein, und die Zeiten, in denen man zu einem Priester aufschaute, sind längst vergangen. In Immensee und im RomeroHaus Luzern zu wohnen, ist allerdings Teil meiner Identität.

Die Matinée mit Textlesung fand im Missionshaus statt.
In deinen Texten hast du auch Situationen und Charaktere aus dem Bereich der Immenseer Gemeinschaft beschrieben oder sie gar karikiert. Gab es je Kritik an deiner literarischen Tätigkeit?
Ich wollte schreiben, um Dinge und Eindrücke festzuhalten. Es gab Kritik von innen, denn nicht alle Mitbrüder und Leitungsbeauftragten mögen Spott und Schalk ertragen, manche ziehen die blanke Seligpreisung vor. Ohne Schalk und Ironie klingt der Text zwar schön, aber auch ein bisschen fad.
Wo können Interessierte das Buch kaufen?
Bei mir, am Infopoint der Wohnsiedlung «Im Bethlehem» oder über eine Buchhandlung wie Hirschmatt Luzern oder Orell Füssli. «Venez avec moi» beinhaltet 30 Geschichten auf rund 200 Seiten und kostet im Laden 30 Schweizer Franken.

Vor der Textlesung fand ein Apéro auf der Dachterrasse statt.
Markus Isenegger
Markus Isenegger kam am 27. September 1940 in Hochdorf im Kanton Luzern als mittleres von drei Kindern zur Welt. Während seines Studiums am Lehrerseminar lernte er einen Immenseer Missionar kennen, der ihn inspirierte, sich der Missionsgesellschaft Bethlehem SMB anzuschliessen. So studierte er Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern und wurde am 22. März 1970 in Pratteln BL durch Bischof Anton Hänggi zusammen mit Martin Jäggi und Kilian Hüsser zum Priester geweiht. Danach arbeitete er rund sieben Jahre für die SMB in Rhodesien (heute Simbabwe), bis die Guerilla die Schulen schloss und er sich zur Rückkehr in die Schweiz entschied. Danach war er in der missionarischen Animation (Förderung) beim Bildungsdienst in Immensee und im RomeroHaus Luzern tätig. Neben seiner theologischen Ausbildung schloss er auch zwei Weiterbildungen in Soziotherapie (Integrative Therapie und Gestalttherapie) sowie Männerarbeit und Gewaltberatung ab. Rund 30 Jahre lang arbeitete er damit auch im «Mannebüro» in Luzern.