Meditation – abendländisch

Seit manchen Jahren haben fernöstliche Meditationsweisen Eingang in unsere westliche Welt gefunden. Das kann eine Bereicherung sein, sollte aber nicht dazu führen, dass die abendländisch-christlichen Meditationswege abgeschrieben werden. Die SMB-Mitglieder haben sie in ihrer Ausbildung in Schöneck kennengelernt. Man benutzte früher eher den Ausdruck «Betrachtung» für die Meditation, die vielleicht zur Kontemplation gelangte (schwer zu beschreiben, sie ist schon ein Zipfel der Ewigkeit).

05.12.2025

Autor: Fritz Kollbrunner SMB

In der langen abendländischen Tradition, die im Mittelalter vor allem in den Klöstern gepflegt wurde, bestand die Betrachtung in der Regel im besinnlichen Lesen der Heiligen Schrift, im Durchdenken, Nachdenken und Anwenden ihrer Aussagen, ihrer Bilder und ihrer Geschichten.

Bei der Lektüre des Kommentars von Thomas Söding über das Lukas-Evangelium (erschienen 2023) machte ich folgende Entdeckung: In der Weihnachtsgeschichte wird Maria als Betrachtende, als Meditierende gezeichnet. Sie überlegt, denkt nach und meditiert weiter darüber es sind die Elemente der oben skizzierten Betrachtung. Schon bei der Verkündigung durch den Engel Gabriel klingt es an: «Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruss zu bedeuten habe.» (1,29)

Auch in der Weihnachtsgeschichte liegt der Ausgang der Betrachtung in der göttlichen Offenbarung. Maria erhält sie allerdings indirekt über die Hirten, denen auf dem Feld vom Engel gesagt wurde, der Retter sei geboren. Sie gehen dann zur Krippe und erzählen den Leuten dort das Gehörte und Erlebte. «Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde.» (2,18) Die Betrachtung ist keine bloss nüchterne Angelegenheit. Hier wird sie durch das Staunen ausgelöst, welches in der Antike als der Anfang der Philosophie galt (Lukas hatte in der Rhetorik Philosophie zu studieren!). Bei der erwähnten Begrüssung war die Überlegung durch ein Erschrecken ausgelöst worden.

Der Text geht dann weiter: «Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.» (2,19) So in der Einheitsübersetzung. In der Luther Bibel (2017) kommt die anhaltende Betrachtung noch deutlicher zum Ausdruck: «Maria aber behielt diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.» Betrachtung braucht Zeit, erst so können wichtige Einsichten aufblitzen. Zur Meditation darf und soll man den Verstand gebrauchen (es war früher ja auch so, dass am Abend zuvor das Material zur Betrachtung vorbereitet wurde). Aber Maria meditiert im Herzen, im Zentrum der Person, in der Mitte des inneren Menschen. Eine der alten und noch heutzutage praktizierten Meditationsmethoden ist ja das mit dem Atem verbundene Herzensgebet oder Jesusgebet: «Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner (unser)!» Es stammt aus der Ostkirche. Im Noviziat brachte es uns einst Professor Gebhard Frei nahe.

Lukas beschreibt Maria auch in den Ereignissen nach der Geburt als nachdenkliche Frau. Nach dem Lobgesang des greisen Simeon hält er fest: «Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden.» (2,33) Beim Besuch des Zwölfjährigen im Tempel staunen sie nicht. Sie suchen nach ihm und finden ihn zunächst nicht. Auch Suchen und Nichtfinden kann zur Betrachtung gehören. Als Jesus seinen Eltern erklärt, er müsse in dem sein, was seinem Vater gehört, «verstanden sie das Wort nicht» (2,50). Wenn wir im Betrachten der Heiligen Schrift immer alles restlos zu verstehen meinen, haben wir vielleicht überhaupt nichts verstanden. Ein englisches Meditationsbuch aus dem 14. Jahrhundert hat den Titel «Die Wolke des Nichtwissens» (The Cloud of Unknowing).

Damit die Betrachtung gelingt, benötigen wir die Mitwirkung des Geistes Gottes. Lukas bringt das zu Beginn seiner Apostelgeschichte, vor Pfingsten, zum Ausdruck: «Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern» (Apg 1,14). Christliche Meditation ist mehr als eine Privatangelegenheit, sie gehört zur kirchlichen Gemeinschaft.