Nachruf: Justin Rechsteiner

Ein Fragment aus Liebe für den jüngst im Alter von 87 Jahren verstorbenen Bethlehem-Missionar Justin Rechsteiner. Ein Gastbeitrag von Regula Grünenfelder.

03.12.2023

Autorin: Regula Grünenfelder für kath.ch

Deine schönen grossen Hände falten sich um die alten Gebete. Bei Bachs Oster-Oratorium rollt eine Träne und ein Lächeln zuckt. Eine Handbewegung zum Mund, und deine Lippen saugen fast ein ganzes Glas Rivella vom Schwamm.

Leidenschaftliches Leben

Geboren am 9. November 1936 im Dorf Appenzell, aufgewachsen unter vier Geschwistern. Gestorben am 30. November 2023 in St. Urban mit Altersdemenz. Dazwischen ein intensives, leidenschaftliches Leben.

Viele Menschen hast du, viele Menschen haben dich gekannt, geschätzt, geliebt. Viele mit dir gelernt, gefeiert und gebetet: Arbeiter in Lille; Schülerinnen und Schüler des Gymi, vor allem im Schultheater Immensee; Bewegte für Gerechtigkeit und Befreiungstheologie im Romero-Haus, in der Schweizerischen Missionsgesellschaft Bethlehem Immensee und weit darüber hinaus; Gemeindemitglieder der Luzerner Franziskaner-Pfarrei und Mitfeiernde der Hofkirche; Mit-Musikerinnen, Mit-Singende, Mit-Schreibende, Mit-Arbeitende, Mit-Wohnende, Freundinnen, Freunde, Göttibuben, Kleinkinder, Sterbende.

 

War von Beginn an mit dabei: Justin Rechsteiner übernahm Ende 1985 die Leitung des neu errichteten Romerohauses in Luzern.

Sorgfältige Texte

Du hast mitgelebt und mitleben lassen, inspiriert und konkret gestaltet. Das Persönliche genossen, mit Interesse und Verantwortung für innere Landschaften und Abgründe, dem Glatten misstraut. Sorgfältig waren deine Texte, die Co-Kreationen im Gymi-Theater, die politischen und augenzwinkernden Wort-zum-Sonntag-Auftritte.

Sorgfältig vorbereitet jede einzelne Predigt, jede Ansprache, jede Sitzung, jeder Gottesdienst. Das war eine deiner Weisen, Respekt zu zeigen. Grosse Parolen lagen dir nicht, eher «weitersagen, wo es Brot gibt» (Friedrich von Bodelschwingh) statt die ganze Bäckerei zu wollen.

Unrecht machte Dich zornig

Laut und zornig machten dich Unrecht und diese besondere Legierung aus Dilettantismus, (geistlicher) Selbstgerechtigkeit und Mir-doch-egal. Oft warst du still und auf Zurückhaltung bedacht. Erfolg, in Politik, Theologie und Selbstgestaltung: Keiner der Namen Gottes (Martin Buber). Deine Theologie lebt in den Menschen weiter, mit denen du diskutiert, gefeiert und zu denen du gesprochen hast. Deine Hochgebete und liturgische Texte gehören mit und ohne deinen Namen zum Schweizer Gebetsschatz.

An diesen letzten Musik- und Gebetsabenden bei dir, gemeinsam mit meinem Mann, du hast uns vor mehr als dreissig Jahren getraut, zusammen mit Ulrike Arens-Fischer, rote und violette Stola, habe ich mich gefragt, ob auch die wilden Gebete, die dir damals wichtig waren, jetzt tragen? Aus dem Zigeunergebet von Wolf Biermann «Gott, und bis du nichts als ein Loch dann lass mich durch, verflucht!». In deiner Gegenwart habe dir gewünscht, dass Gott dich durchlässt, ohne Fluch.

Gebete und grossartige Kompositionen

Soll ich es bedauern, dass von dir so wenig im Netz zu finden ist? Da und dort Gebete und einige grossartige Kompositionen über Texte von dir. Du hast vom geistigen Brot der Anderen gelebt, es immer grosszügig in verdaubare Portionen gebrochen und geteilt. Deine eigenen Texte hast du als Proviant für den Alltag verstanden.

So warst du Missionar, Gesandter, Weitersager. Möglich ein langes Leben lang, weil du dich täglich an deine Sendung erinnert und sie vergegenwärtigt hast: In Schmerzen, Ungerechtigkeit, Schuld, Gewalt die Zärtlichkeit Gottes nicht verloren geben. Vergessen heisst verraten, erinnern, zäh an der Barmherzigkeit festhalten.

Chorherr war kein Name für dich, Betbruder. Deine grossen schönen Hände haben zugepackt, geschrieben, den Kontakt gewagt, Cello gespielt. Immer sind es die Hände des Betbruders gewesen, die das DU, mütterlich, väterlich, getastet und verteilt haben.

Geborgenheit

Kind: Ich han Angscht!

Mutter: Vor was? Was plooget dich denn?

Kind: Es isch so dunkel. Ich bin nid gern elei!

Mutter: So chum doch zu mir! Lueged mir mitenand in Himmel ue! Gseesch, wiä d Stärne lüüchted?

Kind: Hei! Sind das vili! So schön!

Mutter: Und morn wird s wider hell. Vergiss nid,wiä schön es isch, wenn d Sunne uufgooht, oder wenn noch eme ne Gwitter en farbige Rägeboge am Himmel stooht.

Kind: Jaa! Aber no schöner isch es, wenn du jetz zue mir chunsch,uf de Bettrand sitzesch, mir es Gschichtli verzellsch und mit mir bättesch…

Justin Rechsteiner, 2016, vertont von Felix Schüeli