Karl «Carlos» Hüsler

Hermano Carlos, ein Baufachmann, aber kein Missionar?

24.01.2022

Lebenslauf

geboren 4.10.1929
Eintritt in die Missionsgesellschaft 1.12.1958
Schweiz: Schreiner, Allrounder: Seminar Schöneck, Rebstein, Immensee 1958 – 1965
Kolumbien: Baumeister/Schreiner an 35 Orten: Bau/Renovation von Kirchen und Kapellen, Landjugendheimen, pfarreilichen Kurszentren, einer Schule 1965 – 2004
Immensee: Sakristan, Schreiner 2004 – 2017
Ruhestand, Pflegeabteilung 2017 – 2022
verstorben 10.1.2022

Nachruf (von Ernstpeter Heiniger SMB)

Hermano Carlos Hüsler und Heinrich Wenk reisten 1965 als Baufachleute nach Kolumbien. Sie wurden nicht als Missionare ausgesandt, weil Kolumbien kein Missionsgebiet war. Die Bitte, Brüder als Baufachleute in den Einsatz zu bringen, war schon auf dem Generalkapitel 1957 diskutiert worden. Johann Rütsche, der Delegierte Kolumbiens, hielt in seiner «Orientierung über unsere Colombia-Mission» fest, dass zwei Brü-der etliche anstehende Renovations- und Bauarbeiten ausführen könnten. Planung und Aus-führung dieser Arbeiten würden die Priester überfordern.

In diesem Umfeld, das auf den ersten Blick schockiert, ist die Biografie von Hermano Carlos zu sehen. Am 4. Oktober 1929 als zweites Kind in einer Familie mit zehn Geschwistern geboren, erlebte er vor allem in den Dreissigerjahren und jenen des Zweiten Weltkriegs schwierige Zeiten. Der Vater wurde immer wieder für den Militärdienst aufgeboten. In der Schule hatte er während eines Jahres zwölf verschiedene Lehrer. Fast erübrigt sich die Feststellung, dass sie nichts lern-ten. Nach Kriegsende begann er eine Lehre im elterlichen Betrieb als Säger. Eine ganze Palette von Ausbildungsgängen hatte er vor sich: Brennholz rüsten, die Holztrocknungsanlage in Betrieb nehmen, Fräse, Hobelmaschine, das Vollgatter bedienen. Viel Übung erforderte das Schärfen der Säge- und Fräseblätter.

Unruhe in das Leben des gut Zwanzigjährigen brachten zwei Heimaturlaube des Cousins sei-ner Mutter, des Missionsbischofs Josef Grüter. Der zweite Besuch brachte den Stein ins Rollen. 1956 machte Carlos einen Besuch im damaligen Missionsseminar Schöneck. Zwar fand er die «schwarzbefrackten Schafe» etwas «düster», aber der «spritzige junge Geist» der Seminaristen wirkte ansteckend. 1957 trat er ins Missionsseminar ein. Nach dem Einführungsjahr erhielt er im Progymnasium in Rebstein Allrounderaufgaben zugewiesen, weitere zwei Jahre war er in Immensee mit Renovationsarbeiten beschäftigt. Ende 1963 folgte ein Sprachaufenthalt in England als Vorbereitung für Afrika.

Ende 1964 kehrte er zurück und erhielt zusammen mit Bruder Heinrich Wenk die überraschende Bestimmung: Kolumbien. Der Generalobere Blöchliger habe ihm von seinem Besuch in Kolumbien berichtet. Im Detail ging er auf die Armut in den Dörfern und die verlotterten Pfarrhäuser ein. Als Oberer könne er nicht mehr zusehen, wie elendiglich die verdienten Chinamissionare wohnten. Kolumbien sei ein katholisches Land, die Pfarreien seien aber vernachlässigt. Für Carlos, der sich auf Afrika eingestellt hatte, kamen diese Überlegungen aus heiterem Himmel. Der Generalobere riet ihm, Exerzitien zu machen. Das Ergebnis war sein Ja zu einem Einsatz in Kolumbien.

Mt 7, 24

«Wer meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.»

Es war kein leichter Entscheid, denn bis jetzt hatte er sich nicht für Kolumbien interessiert. Alle Brüder waren für die weit wichtigeren Aufgaben in Afrika vorgesehen. Über Kolumbien gab es nachteilige Nachrichten. Die für viele Kolumbianer typische religiöse Lauheit wurde schlimmer eingestuft, als Heide zu bleiben. Dazu kam, dass der Einsatz als dreijähriges Provisorium vorgesehen war, da sie andernorts dringender gebraucht würden. Darin liegt auch die Erklärung, weshalb er und der mit ihm ausreisende Heinrich Wenk keine Einführung in die Geschichte und Kultur Kolumbiens erhielten. Sogar beim Sprachstudium war die eigene Kreativität die Sprachlehrerin. Eine Schülerin des Kollegiums der Franziskanerinnen diktierte den beiden Neuangekommenen einen Sprachkurs auf Tonband. Doch in der Arbeit ging das Tonband vergessen.

Da Kolumbien nicht den gängigen Vorstellungen von «Mission» entsprach und die Einsätze kritisiert wurden, wurden Bruder Carlos und Heinrich Wenk nicht als Missionare ausgesandt. Erst im Generalkapitel 1967 wurde das Missionsverständnis geweitet. Kirchen, die auf Hilfe angewiesen sind, das heisst «Kirchen in Aufbau und Not», gehörten fortan zum missionarischen Auftrag. Kolumbien wurde zu einem Schwerpunkt in der missionarischen Zielsetzung der SMB. Mission bedeutete Aufbau von Gemeinden, ganzheitliche Pastoral, Förderung von Laien und zielte auf eine eigenständige, einheimische Kirche.

Die ersten fünf Einsatzjahre waren ausgefüllt mit Reparaturarbeiten, beispielsweise einer Schule in Argelia, der Renovation eines armseligen Pfarrhauses in El Palmar, dem Bau eines Glockenturms und der Renovation des Pfarrhauses in Policarpa. Erschwernis bei diesen Bauaufgaben war, dass sämtliches Baumaterial bis zu acht Stunden auf schmalen Saumpfaden mit Maultieren transportiert werden musste. Hermano Carlos machte Erfahrungen, die ihn erschütterten und fast erschlugen. Obwohl er sich auf Kolumbien vorbereitet hatte, wurde er in den verschiedenen Einsatzorten mit einer Armut konfrontiert, die nicht nur im Nichthaben besteht. Mit Armut war immer Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Unwissenheit und Ausweglosigkeit und sogar gegenseitige Ausbeutung mitgemeint.

Die Arbeitsbilanz, die Hermano Carlos hinterlässt, ist überwältigend: 13 renovierte Kirchen, 7 Pfarrhäuser, die nicht nur Wohnraum bieten, sondern auch pfarreiliche Aktivitäten zulassen, 4 Landjugendheime, 1 Schule und 3 Pfarreizentren lassen seine Hand erkennen. Der grösste Auftrag war der Bau des Regionalhauses in Popayán, das den Mitgliedern und Mitarbeitenden die Möglichkeit gab, sich über ihre Arbeit auszu-tauschen, zu planen oder sich zu erholen. Carlos war beauftragt mit der Überwachung des Baufortschrittes und der Materialbeschaffung. Mit dem kürzlich verstorbenen Bruder Alois Arnold fertigte er die Inneneinrichtung, vor allem Schränke, an. Nach 1983 erforderte das Erdbeben, das das Regionalhaus arg zugerichtet hatte, erneut seine Präsenz. Im Parterre hatten fast alle Ziegelwände Risse, und die Dachkonstruktion war zusammengebrochen.

Es sind über 30 Einsatzorte, in denen Hermano Carlos Spuren hinterliess und die auf eine missionarische Geschichte schliessen lassen. In dieser Geschichte geht es nicht nur um Bau, sondern immer auch um Aufbau und Bildung von Gemeinschaft. Dieses Unterwegssein mit Gemeinschaften verlangte von ihm Flexibilität und Verfügbarkeit. Er überzeugte nicht nur mit seinem fachlichen Können, sondern ebenso mit seiner Verlässlichkeit und seinem Humor. Mit Recht stellte er die Frage: «Bin ich denn kein Missionar?»

Diese Jahre, die vom Aufbau einer missionarischen Infrastruktur geprägt waren, erhielten 2004 einen abrupten Stopp. Schon seit Jahren schmerzende Augen wurden auf grünen Star zurückgeführt. Weitere Untersuchungen ergaben grauen Star. Eine Operation brachte keine Linderung, und in der Folge erblindete das linke Auge. Weil eine fachgerechte medizinische Behandlung in Bogotá sehr aufwendig gewesen wäre, entschied er sich, nicht mehr nach Kolumbien zurückzukehren. In Immensee stellte er sich für verschiedene Aufgaben zur Verfügung. So betreute er unter anderem die Sakristei. Als die Kräfte immer mehr abnahmen, wechselte er in die Pflegeabteilung. Mit seiner Art, die Krankheit zu bejahen, gab er ein weiteres missionarisches Zeugnis, das für sich selber sprach.

Es stellt sich die Frage, wie ein von der Leitung der Missionsgesellschaft auf höchstens drei Jahre befristetes Provisorium zu einem missionarischen Engagement von 39 Jahren führen konnte. Zum Nachdenken lädt auch die Tatsache ein, dass der provisorisch eingesetzte Nichtmissionar die ehemaligen China-Missionare, für die er arbeitete und die praktisch alle 30 Jahre im Einsatz standen, mit seinem Einsatz um ein Jahrzehnt übertraf.

In seinen mit «Lebenspfade» überschriebenen Notizen äussert er ein Bedürfnis, zu danken. Zu danken …

… vor allem den Eltern und Geschwistern. (Mit ihnen ging er das erste Drittel seines Lebens, bis sein Weg in eine andere Richtung führte.)

… Bischof Josef Grüter und «allen, die mir geholfen haben, meinen neuen Weg zu finden»,

… vor allem meinen «Mitbrüdern, die mit mir auf dem Weg gegangen sind auf der Suche nach dem Quell des wahren Lichtes, das wir immer erhofft und ersehnt haben».

Carlos beschliesst seinen Dank mit und in der Gewissheit über den Weg, den er in seinem Sterben gegangen ist:

«A Dios vamos, vamos a Dios, juntos vamos todos! Gracias a Dios.»